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TITel

in etwa verdoppelt und verteilt sich heute

zu gleichen Teilen auf die Industriestaa-

ten auf der einen und die Entwicklungs-

und Schwellenländer auf der anderen

Seite. Die ehemals armen Länder erwirt-

schaften also mittlerweile so viel wie die

gesamte Welt vor 25 Jahren. Hätte man

sich im Jahr 1990 darauf beschränkt, das

vorhandene Welteinkommen gerechter zu

verteilen, wären die aufholenden Länder

heute deutlich schlechter dran.

Auch wenn die jüngste Krise in China

das Tempo etwas drosseln sollte, wach-

sen viele Schwellenländer mit Raten,

die Deutschland allenfalls zu Zeiten des

Wirtschaftswunders vorweisen konnte.

Dabei profitieren sie von den sogenann-

ten Vorteilen der Rückständigkeit. Die

aufstrebenden Staaten finden aufnahme-

bereite Absatzmärkte in den etablierten

Volkswirtschaften vor und können bereits

erprobte Technologien, Verfahren und

Gesetze nachahmen. Einige Länder ha-

ben sogar die Staatsform übernommen –

mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung

lebt mittlerweile in einer Demokratie,

darunter die größte muslimische Nation

Indonesien.

Demokratisierung und Globalisierung

tragen dazu bei, dass Konflikte zwischen

den Staaten seltener eskalieren. Seit dem

Ende des Zweiten Weltkriegs haben die

wohlhabenden Länder keinen Krieg mehr

gegeneinander geführt–und auch im Rest

der Welt gingen die Auseinandersetzun-

gen zurück. Zu diesem Ergebnis kommt

zumindest Steven Pinker. Der in Harvard

lehrende Psychologe hat die Zahl der

gewaltsamen Tode in der Menschheits-

geschichte akribisch ausgewertet und

bezogen auf die Weltbevölkerung einen

konstanten Rückgang der Kriegsopfer

festgestellt. Sogar das 20. Jahrhundert mit

der Weltbevölkerung als arm. Dennoch

stimmt die Richtung. In so unterschied-

lichen Ländern wie China und Chile ist

eine stabile Mittelklasse entstanden, die

über eine Kaufkraft zwischen 10 und 20

Dollar pro Kopf und Tag verfügt.

Dank steigender Einkommen ließen sich

auch andere tiefgreifende Probleme an-

gehen: So hat sich zum Beispiel die Kin-

dersterblichkeit in Afrika und weltweit

seit Mitte der 1980er Jahre halbiert – vor

allem, weil die häufigste Todesursache,

Unterernährung, erfolgreich bekämpft

werden konnte. Zudem besuchen im-

mer mehr Kinder eine Grundschule, was

folglich die Zahl derer erhöht, die lesen,

schreiben und rechnen können. Der im

Oktober 2015 mit dem Wirtschaftsno-

belpreis ausgezeichnete Ökonom Angus

Deaton analysiert diese Entwicklung in

seinem Buch „The Great Escape“: Die

Menschheit ist seit Aufklärung und In-

dustrialisierung der materiellen Entbeh-

rung und dem frühzeitigen Tod entkom-

men, und pessimistische Prognosen wie

die, das Bevölkerungswachstum werde

die Armut vergrößern, haben sich nicht

bewahrheitet. Die Vereinten Nationen

sind also vielen ihrer Ziele nähergekom-

men, was allerdings weniger dem Wirken

der UN oder der Entwicklungshilfe allge-

mein geschuldet ist als vielmehr den An-

strengungen der Länder selbst. Vor allem

die Staaten Asiens verzeichnen seit Jahr-

zehnten ein rasantes Wirtschaftswachs-

tum, das vor allem deshalb möglich war,

weil sich die Länder gegenüber den Welt-

märkten geöffnet haben. „Bei aller Kritik

an der Globalisierung: Sie hat maßgeblich

zum Aufstieg dieser Länder beigetragen“,

sagt Jürgen Matthes, Ökonom für interna-

tionale Wirtschaftspolitik im Institut der

deutschen Wirtschaft Köln.

Sicherlich wächst die Wirtschaft in vie-

len Teilen der Welt nicht nachhaltig, und

der globale CO

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-Ausstoß steigt, statt wie

vereinbart zu sinken. Doch erfahrungs-

gemäß wird Umweltschutz erst dann ein

Thema, wenn grundlegendere Bedürfnis-

se gestillt sind. In dieser Hinsicht haben

sich die Voraussetzungen verbessert: Die

Weltwirtschaftsleistung hat sich seit 1990

Der Anteil der Kinder, die eine Grundschule besuchen, stieg in Afrika südlich der Sahara seit 2000

von 60 auf 80 Prozent – und damit stärker als in allen anderen Regionen der Welt.

„Wir realisieren nicht, wie

viele Kriege in Afrika zu Ende

gegangen sind.“

Steven Pinker